Interview

Was kann ein Betriebsrat in der Transformation für Beschäftigte erreichen?

In der Transformation spielt die Mitbestimmung eine wichtige Rolle. Im INQA-Experimentierraum-Projekt „REMI – Organisationale Resilienz im Mitmachunternehmen“ mit dem Automobilzulieferer IAV haben Betriebsrat und Geschäftsführung den Weg des Mitmachunternehmens ausgehandelt. Darüber sprachen wir mit der Berliner IAV-Betriebsratsvorsitzenden Tanja Schneider und Tobias Kämpf von der University of Labour und dem ISF München (Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung).

Was bedeutet der Umbruch in der Automobilindustrie für den Betriebsrat?

Schneider: Unsere wichtigste Aufgabe ist jetzt, die Mitarbeitenden im Prozess der Veränderung aktiv einzubinden und mitgestalten zu lassen. Den Verbrenner wird es voraussichtlich nicht mehr so lange geben und wir müssen unsere Geschäftsfelder anpassen. Dazu hätten wir gerne unsere Leute an Bord. Und sie sollten sich nicht zur Veränderung gezwungen fühlen, sondern motiviert werden, frei zu wählen, wie sie sich weiter qualifizieren und wie sie sich zukünftig einbringen wollen.

Kämpf: Bei der IAV geht es ja um eine historische Veränderung, sie erleben eine Twin-Transition. Da gibt es auf der einen Seite den digitalen Umbruch. Man muss nun ganz neu Software und Daten beherrschen. Auf der anderen Seite steht die Dekarbonisierung in der gesamten Automobilindustrie. Und das alles geschieht nicht auf der grünen Wiese, sondern in gewachsenen Strukturen des Unternehmens. Das funktioniert nur, wenn die Beschäftigten selbst zum Motor dieses Wandels werden. Es reicht nicht, wenn sie ihn nur akzeptieren, sondern sie müssten begeistert sein, dass sie an dem Wandel teilnehmen. Es ist gut, dass der Betriebsrat die Beschäftigten empowern und sozusagen in den „Driver Seat“ setzen will.

Warum ist das so wichtig?

Schneider: In den Jahren 2017/2018 hatten wir einen ersten personellen Transformationsversuch, der leider gescheitert ist. Wir brauchten keine umfangreiche Konstruktion-Abteilung mehr, weil diese Art von Arbeit zunehmend digitalisiert wurde. Mangels Erfahrung in der Umsetzung einer personellen Transformation haben wir damals Fehler gemacht, die wir heute so nicht mehr machen würden. Das Thema Qualifizierung zum Beispiel haben wir völlig unterschätzt – und letztlich viele der damals betroffenen Mitarbeitenden verloren.  IAV hat daraus aber gelernt. Dieser gescheiterte Versuch war auch ein Grund, dass man über eine neue Lösung nachdachte. Im Grunde führte es dazu, dass wir 2021 den Zukunfts-Tarifvertrag abgeschlossen haben, in dem das Mitmachunternehmen festgeschrieben wurde.

Wie war die Resonanz auf die Pläne zum Haustarifvertrag, der das Mitmachunternehmen beinhaltete?

Schneider: Wir konnten klar machen, dass Change nur mit den Beschäftigten zusammen geht. Wir haben in unserem Unternehmen keine Produktion, sondern leben von unseren klugen Köpfen. Wir verkaufen die Ideen und die Entwicklungen der Mitarbeitenden. Und das Mitmachunternehmen ist eine Einladung an die Beschäftigten, sich mit neuen Aufgaben und Ideen aktiv einzubringen. Aber auch viele Mitarbeitende sagten zuerst: Was soll das? Wir machen hier doch sowieso schon mit. Es war ein schwieriger Schritt zu erklären, was ein Mitmachunternehmen ist. Nämlich dass man in Zukunft nicht mehr gesagt bekommt: „Das will der Kunde, arbeite da mal dran.“ Sondern dass alle eingeladen sind, herauszufinden, was in Zukunft gebraucht wird und Lösungen zu entwickeln.

Kämpf: Man muss sich auch vergegenwärtigen, was es für die Mitarbeitenden bedeutet, sich auf so einen grundlegenden Wandel ihrer Arbeit einzulassen. Damit sind viele Unsicherheiten und Ängste verbunden. Es ist nicht einfach, wenn jemand zum Beispiel 25 Jahre Einspritzventile entwickelt hat und er plötzlich Software-Entwickler werden soll. Und niemand kann ihm genau sagen, ob in ein paar Jahren diese Software-Entwickler noch gebraucht werden. In der Transformation wird von den Beschäftigten viel erwartet, dafür sollte man auch die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Qualifizierung ist dabei ein sehr wichtiges Thema. In vielen Unternehmen wird zwar über Zukunft-Skills geredet und dann passiert aber nichts.

Wie kam es gegen alle Skepsis trotzdem zu diesem Tarifvertrag?

Schneider: Bei den Tarifverhandlungen ging es eigentlich um die 36-Stundenwoche. Aus wirtschaftlichen Gründen mussten wir Jahre vorher eine 38-Stunden-Woche akzeptieren. Mit dem Zugeständnis, dass wir erneut über die 36-Stundenwoche verhandeln, wenn es wieder besser geht. Dagegen gab es aber lange Widerstände in der Geschäftsführung. 2020 haben wir das Thema erneut aufgegriffen und die IG Metall hat zusammen mit unserer Tarifkommission durchgesetzt, dass man diese zwei Stunden pro Tarifmitarbeiter in einen virtuellen Topf packt und so ein Qualifizierungsbudget in Form von Stunden erhält. Zwei Stunden/Woche pro Mitarbeiter ergeben eine Summe von 530.000 Stunden jährlich. Diese können jetzt gezielt für Qualifizierung eingesetzt werden. Wenn sich ein Mitarbeiter fortbildet, dann wird diese Zeit aus dem Kontingent finanziert. Wichtig ist hier noch zu erwähnen, dass es sich nicht um einen Individualanspruch handelt, sondern die Qualifizierungszeit dort eingesetzt wird, wo sie auch tatsächlich benötigt wird.  Wir sind sehr stolz darauf, dass wir so einen solidarischen Vertrag aushandeln konnten.

Kämpf: In diesem Tarifvertrag steckt das Signal für einen kulturellen Aufbruch, er ist etwas Visionäres, ein Vorbild für viele. Meist wird ein Change anders angegangen. Irgendjemand hat einen Masterplan ausgearbeitet und der wird dann den Beschäftigten vorgeschrieben. Dieser Tarifvertrag im Rahmen des Mitmachunternehmens ist ein ganz neuer Weg: Arbeitgeber und Arbeitnehmer gestalten den Wandel gemeinsam.

Und die Idee des Mitmachunternehmens wird derzeit noch weiter ausgebaut?

Schneider: Wir setzen zusätzlich sogenannte Weiterbildungsmentoren ein. Dies ist ein Programm der IG Metall und zielt darauf ab, Kolleg:innen zu begleiten und zu motivieren, die sich noch nicht sicher sind, was sie machen wollen und können. Es gibt viele Kolleg:innen, die Zukunft-Skills haben und als Hobbys pflegen. Die zum Beispiel in ihrer Freizeit programmieren, im Unternehmen aber in der Werkstatt oder am Prüfstand stehen. Die hätten wahrscheinlich Spaß daran, in die Software-Entwicklung zu gehen, obwohl sie keine Ausbildung dafür haben. Diese Mitarbeitenden können jetzt auf einen Weiterbildungsmentor zugehen, erstmal völlig unverbindlich ohne HR und ohne Betriebsrat. Die Vertrauensperson erklärt dann, was in der Abteilung gefragt ist und welche Programme zur Qualifizierung es geben würde. Es ist auch möglich, ein Praktikum in der gewünschten Abteilung zu absolvieren. Die Vertrauenspersonen haben wir gezielt ausgewählt und sie wurden von der IG Metall für diese Aufgabe geschult.

Kämpf: Weiterbildung ist ja normalerweise ein Geschäft, das vor allem die Personalentwicklung zusammen mit den Führungskräften vorantreibt. Aber hier wurden jetzt parallel Weiterbildungsmentoren aus der Belegschaft ausgebildet, die sozusagen Peer to Peer Menschen beraten und ermutigen. Dieses Beispiel zeigt, dass man mit Initiative von unten den anstehenden Wandel gestalten kann. So funktioniert ein modernes Mitmachunternehmen.