Mit einem Kick-Off beim Engineering-Unternehmen für die Automobilindustrie IAV in Berlin eröffneten wir am 17. und 18.6.2024 ein Praxislaboratorium im Rahmen des INQA-Experimentierraumprojekts REMI „Organisationale Resilienz im ‚Mitmachunternehmen‘“. Ein Bericht über den gelungenen Start in den ersten Sprint.
Bereits nach kurzer Zeit ist das erste blaue Pinnboard voll mit bunten Zetteln: „Welche Rollen/Kompetenzen brauchen wir?“, „#vor die Welle“, „Identifikation der Top-Skills für IAV“, „Intrinsische Motivation“ oder „Mitgestaltung der betroffenen Mitarbeiter am Prozess“, steht zum Beispiel darauf. Eine erste Ideen-Sammlung der Teilnehmer:innen zu den Fragen: „Was wollen wir erreichen oder lernen? Und wie können wir Kolleg:innen beteiligen?“
Kick-Off beim Engineering-Unternehmen IAV GmbH: Unser ISF-Team war nach Berlin gereist, um dort gemeinsam mit IAV-Mitarbeitenden ein Praxislaboratorium im Rahmen des INQA-Experimentierraumprojekts REMI „Organisationale Resilienz im ‚Mitmachunternehmen‘“ zu starten. Das Lab ist eine agile Gestaltungsmethode, die vom ISF entwickelt und in anderen Unternehmen bereits erfolgreich erprobt wurde. Dabei sollen nicht irgendwelche Expert:innen Lösungen für die Transformation vorgeben, sondern Bottom up Mitarbeitende selbst Ideen entwickeln und schließlich verwirklichen. „Wir stellen das Empowerment der Betroffenen ins Zentrum“, fasst ISF-Wissenschaftler und Professor an der University of Labour Tobias Kämpf das Konzept zusammen.
Im IAV-Experimentierraum sind zum Kick-Off zehn Mitarbeitende, aus verschiedenen Bereichen und Unternehmens-Standorten wie München, Berlin oder Gifhorn, zusammengekommen. Die Mitarbeiter:innen kommen aus HR, aus den technischen Bereichen, aus dem Betriebsrat und auch eine Führungskraft ist dabei. Gemeinsam wollen sie mit dem ISF-Team an Zukunftslösungen für IAV arbeiten. Neue Ideen stehen derzeit im Unternehmen mit Schwerpunkt Autoindustrie im Fokus, denn es bewältigt eine doppelte Herausforderung: Es muss sich sowohl auf die Digitalisierung mit der schnell wachsenden Bedeutung von Software, Daten und KI einstellen als auch die Dekarbonisierung des Antriebsstrangs vorantreiben.
Über den „Sense of Urgency“ müsse man dann wohl nicht reden, stellt Tobias Kämpf zu Beginn des Workshops fest. Und erklärt, warum die Wissenschaft besonderes Interesse an der Transformation bei IAV hat: „Ihr seid einzigartig, weil ihr gute Voraussetzungen geschaffen habt, um den Wandel erfolgreich zu gestalten“. Bereits vor einiger Zeit hatten Unternehmensführung und Betriebsrat gemeinsam Strategien entwickelt, um den Wandel zu bewältigen. Fortbildung und Qualifizierung der Mitarbeitenden spielen dabei eine wichtige Rolle. „Alles, was wir entwickeln, muss dazu führen, dass die Beschäftigten Lust haben mitzumachen“, sagt HR-Mitarbeiterin Ronja Wengel. Sie leitet das Projekt für IAV, koordiniert das Lab-Team im Unternehmen und den Austausch mit dem ISF München.
Eine kurze Umfrage zu Beginn des Workshops ergibt, dass die meisten Teilnehmenden im Raum die Transformation eher als Chance sehen. Allerdings sind auch die Schwierigkeiten bewusst: „Veränderungen tun oft auch weh“, meint etwa eine Teilnehmerin.
ISF-Wissenschaftler Thomas Lühr stellt im Anschluss daran erste Ergebnisse der ISF-Forschung im Unternehmen vor. Seit einem Jahr führen die Wissenschaftler Interviews mit Mitarbeitenden. Dabei schildert Lühr eindrückliche Beispiele von erfolgreichen Qualifizierungsprozessen einzelner Beschäftigter. Gleichzeitig werden auch weniger erfolgreiche Beispiele unter die Lupe genommen. Im Ergebnis arbeitet Lühr “organisationale Kompetenzen für das Mitmachunternehmen” heraus. Neben Empowerment seien Sicherheit und vor allem die Beteiligung der Mitarbeitenden entscheidende Voraussetzungen für ein erfolgreiches Lernen in der Transformation.
Es sei nicht die erste Transformation, die Mitarbeitende bei IAV erleben, darauf weisen mehrere Teilnehmer:innen in der Diskussion hin. „Vor zwei bis drei Jahren haben wir noch andere Kompetenzen gesucht als heute“, meint etwa einer der Teilnehmer:innen. Einig sind sich zudem alle, dass sie im Unternehmen auf die Change-Anforderungen von außen flexibler und vor allem schneller reagieren müssten: Sie würde gerne früher wissen, welche Fortbildungen oder Schulungen aktuell tatsächlich relevant wären, wünscht sich eine Teilnehmerin. Und ein anderer IAV-Mitarbeiter fasst zusammen: „Wir müssen vor die Welle kommen und Transformation und Qualifizierung angehen, bevor der Bedarf akut ist.“
Mit seiner Präsentation „How to betriebliche Praxislaboratorien“ erklärt Lühr schließlich, wie ein Praxislaboratorium funktioniert: Das Lab-Team wird in drei Sprints von jeweils acht Wochen Lösungen für die Transformation bei IAV entwickeln und erproben, nach jedem Sprint wird es an einen Lenkungskreis aus Mitgliedern des Managements und Betriebsrats berichten. Der Lenkungskreis wird das Lab-Team unterstützen und die Rahmenbedingungen ermöglichen.
Die Mission im Lab ist danach schnell gefunden: Was sind die Top-Skills, die IAV in Zukunft braucht? Welche dieser Kompetenzen haben Mitarbeiter:innen bereits? Und wie können sie nachhaltig qualifiziert werden? Das möchten die Teilnehmer:innen herausfinden. Hierfür entschieden sie sich für ein Vorgehen im Gegenstromverfahren, mit zwei parallel laufenden Arbeitsgruppen: Die erste Arbeitsgruppe möchte bottom-up über eine Befragung von Mitarbeitenden eine Übersicht über gegenwärtige und zukünftige Top-Skills erhalten. Bei der zweiten Gruppe soll über Gespräche mit Managementvertreter:innen eine Methodik für eine fortlaufende kompetenzbasierte Personalplanung entwickelt werden. Zum Abschluss des Workshops erstellten beide Arbeitsgruppen jeweils selbstständig einen Arbeitsplan und definierten die Ziele und Arbeitsschritte für den ersten Sprint. In zirka acht Wochen werden sie sich wieder treffen und erste Ergebnisse präsentieren.
Text: Eva Meschede